Wie digital ist München?

Stadtrat Florian Roth im Gespräch über digitale Bürger*innenbeteiligung, elektronische Verwaltung und neue Wege für die Demokratie. Ein Interview von Thorsten Siefarth.

Die Digitalisierung kann helfen, den Service für die Bürger*in­nen zu verbessern und deren Beteiligung zu stärken. Was haben andere deutsche Großstädte, was München nicht hat?

Es gibt Großstädte, die das Medium Internet deutlich intensiver nutzen als München. Sowohl im Sinne von Transparenz, als auch wenn es darum geht, sich zu beteiligen. In Hamburg gibt es zum Beispiel ein sogenanntes Transparenzportal. Die gehen damit über die bloße Informationsfreiheit deutlich hinaus.

Aber wir in München haben doch auch Informationsfreiheit. Der Stadtrat hat dazu schließlich eine entsprechende Satzung verabschiedet!

Das Problem ist, dass man die Verwaltung immer noch dazu drängen muss, Informationen rauszurücken. Dazu ein Beispiel: In einer Münchner Schule mussten Schüler*innen vorübergehend in Containern untergebracht werden. Dann kam ein Gerücht auf, dass von diesen Containern irgendwelche giftigen Dämpfe ausgehen. Die Schulverwaltung ist dem nachgegangen und hat ein Gutachten erstellen lassen. Als der Vater eines betroffenen Kindes dieses dann einsehen wollte, hat ihm die Schulverwal­tung erklärt, das Gutachten sei so kompliziert geschrieben, das verstehe er nicht. Er könne ja mal vorbeikommen, man würde es ihm gerne erklären. Aber zusenden würde man das Gutach­ten nicht. Dazu habe ich dann eine Anfrage gestellt und darauf hingewiesen, dass das Gutachten unter die Informationsfrei­heitssatzung fällt. Schließlich habe ich als Antwort erhalten, der Vater habe das Gutachten schließlich bekommen. Das zeigt: Es ist immer noch ziemlich zäh, wenn es darum geht, von der Stadt­verwaltung Informationen zu erhalten.

Inwiefern geht man in Hamburg weiter?

Bei der Informationsfreiheit geht es darum, bestimmte Daten wie Verträge, Statistiken oder Gutachten zu bekommen. Aber eben nur auf Nachfrage. Und das kann, wie eben geschildert, eine ziemlich anstrengende Angelegenheit sein. Das Internet ist jedoch ein Medium, das es ermöglicht, einen anderen Weg zu gehen. In Hamburg stellen die zuständigen Stellen von sich aus auf ihrem Transparenzportal eine enorme Menge an Informati­onen zur Verfügung. Da müssen die Bürger*innen also nicht als Bittsteller*innen auftreten. Ich habe gerade gestern da nochmal nachgeschaut. Mittlerweile wurden auf dem Hamburger Trans­parenzportal in der Rubrik „Gutachten und Studien“ insgesamt 250 Dokumente eingestellt.

Aber was fangen die Bürger*innen mit so viel Informationen an? Liest das überhaupt jemand?

Darauf kommt es gar nicht an! Vielmehr geht es um Folgendes: Ich kann mich als Bürger*in nur dann beteiligen, wenn ich von etwas weiß. Eine wichtige Voraussetzung von Demokratie ist also ein öffentlicher Zugang zu relevanten Informationen. Ein Weiteres kommt hinzu: Wenn die Informationen digital verarbei­tet werden, können bestimmte Leute spannende Apps daraus basteln. Eine echte Win-Win-Situation. Einerseits machen die Leute das gerne. Und andererseits spart die Stadt eine Menge Geld. Ein Beispiel ist www.muenchen-transparent.de, was der Tobias Hößl, einer von uns Münchner Grünen, gemacht hat. Wenn wir beantragen, dass die Stadt München so etwas in Auftrag geben soll, dann geht das zuerst einmal nicht. Und wenn dann doch, dann in drei Jahren. Und wenn es schließlich fertig ist, dann hat es Millionenbeträge gekostet.

Kommen wir von der Zugänglichmachung von Informationen zu den Beteiligungsmöglichkeiten: Wie sieht es denn aktuell für Münchner*innen aus, das städtische Leben mitzugestalten?

Vielleicht auch hier ein kleines Beispiel: Es gibt in manchen Städten Apps, die nennen sich „Fix my street“ oder ähnlich. Über diese Apps können Bürger*innen die Stadtverwaltung über das Internet auf Missstände im Öffentlichen Raum hinweisen. Über eine solche App können Bürger*innen beispielsweise darauf hinweisen, dass ein Radlweg nicht geräumt ist oder wo er aus irgendeinem Grund gefährlich ist. Dazu sendet man die GPS-Da­ten, lädt ein Foto hoch, fügt eine Anmerkung an und das war’s dann.

Hört sich sehr gut an. Warum haben wir so etwas nicht in Mün­chen?

Haben wir. An sich. Wir haben das 2013 im Stadtrat beantragt. Was ist aber rausgekommen? Es gibt für München eine App mit ungefähr zwanzig Services. Da gibt es gerade mal zwei Buttons für Meldungen. Bei dem einen geht es um Spielplätze, bei dem anderen um Laternen. Aber es handelt sich um keine richtige eigene App und außerdem findet man sie kaum.

Warum haben wir kein besseres Angebot?

Der IT-Bereich sagt, eine bessere App ginge technisch in Ord­nung. Die Stadtverwaltung aber hat Angst vor zu viel Arbeit. Die sagen, wir können maximal zwei Bereiche bearbeiten. Wenn hingegen auch noch in anderen Bereichen Meldungen kommen würden, dann müssten wir denen ja nachgehen. Und darauf sei man leider nicht vorbereitet.

Ein anderes Thema bei der Bürgerbeteiligung sind Online-Petiti­onen. Geht wenigstens in dem Bereich was voran?

Auf den ersten Blick schon. Da haben wir kurz vor der Wahl noch durchgesetzt, dass die Stadt den Auftrag bekommt, sich um die Online-Petitionen zu kümmern. Als es dann zur Umsetzung kam, haben sich CSU und SPD auf folgendes Modell geeinigt: Ein Quorum gibt es nicht. Jede Petition zählt gleich. Jeder und jede kann Rederecht zu seiner oder ihrer Petition beantragen. Das Problem ist aber: Ob ein einzelner Streithansel die Petition eingebracht hat oder ob es viele Unterstützer*innen gibt, das macht keinen Unterschied. Damit werden sämtliche Petitionen entwertet, insbesondere solche, die von einer breiten Masse an Unterstützer*innen getragen werden. Außerdem nimmt sowieso keiner von den Petenten sein Rederecht wahr. Und schließlich wird die Petition in irgendeinem Ausschuss in irgendeiner Vorla­ge kurz und schmerzlos mit einem Sätzchen abgehandelt. CSU und SPD haben die Online-Petition regelrecht entwertet.

Bisher haben wir von E-Partizipation gesprochen. Reden wir jetzt von E-Administration. Was könnte man in München in diesem Bereich besser machen?

In München hinken wir leider aber auch bei der E-Administration hinterher. Ein Beispiel: Die katastrophal langen Wartezeiten beim Kreisverwaltungsreferat. Wenn wir da die Möglichkeiten hätten, die An- und Ummeldung online zu erledigen, dann wäre das Problem deutlich entschärft. Die meisten Bürger*innen wür­den lieber mit drei Klicks etwas beantragen, als sich an langen Schlangen anzustellen. Unser Motto: Die Daten sollen laufen, nicht die Menschen! Hinzu kommt: Wenn man die E-Administration ausbaut, be­deutet das ein enormes Einsparpotenzial. Das belegen etliche Studien. Für München reden wir da über Beträge im dreistelligen Millionenbereich. Das wäre also einmal mehr eine Win-Win-Si­tuation: Einerseits wird es für die Bürger*innen einfacher und andererseits spart die Stadt mächtig Geld. Die Österreicher, insbesondere Wien, sind uns bei der E-Admi­nistration ordentlich voraus. Dort muss man kein Kindergeld mehr beantragen. Wenn das Kind geboren ist, so wird das von dem Krankenhaus an die zuständigen Behörden gemeldet. Schließlich fließt das Kindergeld, ohne dass man einen langen Antrag ausgefüllt hätte. Da muss man sich in puncto Daten­schutz keine Sorgen machen. Dass man ein Kind bekommt, ist keine ganz so geheime Information. Darüber dürfen sich die die zuständigen Stellen ruhig austauschen.

Das hört sich zwar gut an. Aber bei mehr Automatisierung droht immer auch der Abbau von Arbeitsplätzen. Vernichtet E-Admi­nistration also Beschäftigungsmöglichkeiten?

Auf den ersten Blick klingt das tatsächlich nach Rationalisierung und die Leute werden entlassen. Aber München hat das umge­kehrte Problem. München als wachsende Stadt mit wachsenden Ansprüchen der Bürger*innen findet gar nicht ausreichendes Personal, um dem gerecht zu werden. Bei verstärkter E-Adminis­tration würde man das aber hinbekommen – mit dem gleichen Personal.

Gibt es in München eigentlich eine Koordinierungsstelle für die Digitalisierung?

Also es gibt im Bereich der IT einen städtischen Dienstleister im Eigenbetrieb sowie dezentrale IT in den Referaten. Außerdem hat die Stadt eine strategische Stelle. Diese sollte eigentlich das Thema E-Government voranbringen. Nur leider ist das nicht Chefsache in der Stadt. Die strategische Stelle gibt lediglich Anregungen. Sie ist dann darauf angewiesen, dass die Referate mitmachen. In anderen Städten gibt es dazu ein eigenes Referat. Manchmal sogar mit eigenen Durchgriffsrechten. Häufig ist das Thema E-Government jedenfalls höher aufgehängt als hier.

Was haben denn die Grünen den während ihrer Regierungszeit dafür getan, E-Government zur Chefsache zu machen?

Leider hatten wir damals nicht wirklich die Instrumente in der Hand. Die Ideen und Vorschläge hatten wir schon. Wir haben auch etliche Anträge gestellt. Aber da war der Tanker SPD leider zu träge. Wir hätten einen etwas affineren Oberbürgermeister gebraucht. Das ganze Thema Digitalisierung hat Herr Ude an die damals zweite Bürgermeistern Frau Strobl abgegeben. Und die hatte mit Digitalisierung wenig bis nichts am Hut.

Denken wir mal in die Zukunft: Was sind die drei vorrangigsten Projekte für das E-Government in München?

In der Regel musst Du heute zu einer Behörde laufen, um an Informationen zu kommen oder um die städtischen Dienste in Anspruch zu nehmen. Aber es muss umgekehrt sein. Die Regel muss sein: Alles sollte online passieren können. Nur wo es beispielsweise um Beratung und Betreuung geht, mag es Aus­nahmen geben. Oder wo ein Bundesgesetz dagegensteht. Wir müssen also das alte Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren. Das zweite ist, das man auf eine ganz andere Art und Weise mit der digitalen Community kooperieren sollte. Nicht so als hoheitli­che Verwaltung, die großzügig sagt, ihr bekommt mal diese oder jene Daten und dann können wir mal was zusammen machen. Sondern das Ganze muss auf Augenhöhe passieren. Und schließlich brauchen wir im Bereich der Transparenz eine ganz andere Kultur. Wir müssen Vorreiter sein, wenn es darum geht, Daten zur Verfügung zu stellen. Es gibt genug Studien zu „Open Data“. Die haben alle ergeben, dass hinter einem Mehr an Transparenz auch ein ganz großer volkswirtschaftlicher Nutzen steckt. Für uns in München bedeutet das: Hier liegen von der Stadt erhobene Daten unbekannt herum und die Gesellschaft und Wirtschaft könnte sie bestens gebrauchen und nutzen. Daten, deren Erhebung übrigens von den Steuerzahler*innen bereits bezahlt wurde.

Zum Schluss, Florian, haben wir noch drei Satzanfänge für Dich. Wir bitten Dich, diese zu vervollständigen.

Los geht’s: Unser Ziel beim E-Government sollte sein …

… dass man bei der Stadt fast alles online erledigen kann.

Die Digitalisierung städtischer Prozesse in München …

… ist eine riesige Chance für die Münchner*innen und auch für den Stadthaushalt.

Ein kostenfreier Internetzugang …

… ist Bürgerrecht!

Lieber Florian, vielen Dank für das Gespräch!

Florian Roth

Florian Roth, 49, ist Vorsitzender der grün-rosa Fraktion im Münchner Stadtrat. Bei den Grünen ist er seit 1994, unter anderem war er sechs Jahre lang Stadtvorsitzender. Er ist im Finanz- und Kulturausschuss. Seine besondere Leidenschaft gilt den Themen Bürgerbeteiligung und Transparenz. Seit er 2008 erstmals in den Stadtrat gewählt wur­de, gehört Florian der IT-Kommission der Stadt an. „Klingt langweilig, ist aber hochspannend und sehr politisch“, sagt er, denn: „Dort werden die Weichen für eine moderne, bürgerfreundliche Verwaltung und digitale Demokratie gestellt.“