Von vollen U-Bahnen und dem Wandel in den Köpfen

Mobilitätsforscherin Henrike Rau und Stadtrat Paul Bickelbacher im Gespräch über Münchner Verkehrspolitik und die wandelnde Mobilitätskultur.

Henrike, Du hast lange im Ausland gelebt. Was waren Deine erste Eindrücke als Neumünchnerin?

Henrike: Als ich nach München gezogen bin, habe ich als erstes das Neubürgerpaket bekommen – und mich sehr darüber gefreut. Toller Ansatz, um Menschen für den ÖPNV zu gewinnen. Der ÖPNV ist im internationalen Vergleich erst mal ganz gut aufgestellt. Natürlich gibt es die überfüllte Bahnen, aber kein Vergleich zu anderen Städten – Tokyo zum Beispiel. Gleichzeitig fand ich es am Anfang schwierig, mich als Radfahrerin zu orientieren.

Paul: Am Sendlinger Tor haben wir ja auch schon Leute in gelben Westen auf dem Bahnsteig, die die Fahrgäste einweisen, weil der Bahnsteig so überfüllt ist. Da sind wir schon oft sehr an der Grenze.

Paul, wie erlebst Du die Stadt, als Verkehrspolitiker und natürlich persönlich?

Paul: Mein persönlicher Luxus ist, viel zu Fuß erledigen zu können. Die meisten Wege lege ich mit dem Rad zurück. Wenn ich doch mal die U-Bahn nehme, dann erlebe ich aber oft, dass es eigentlich keinen Spaß mehr macht – die Überfüllung im Winter wird langsam dramatisch. Lange Zeit hat die Einwohnerentwicklung Münchens stagniert. Und jetzt haben wir 30.000 Neuzuzüge pro Jahr. Wir merken einfach, die Systeme sind inzwischen einfach zu voll. Beim Radverkehr ist im Kleinen Vieles passiert in den letzten Jahren, auch wenn das schon alles lange dauert. Wir haben 2009 einen Grundsatzbeschluss zum Radverkehr gefällt – da waren Dinge wie die Kapuzinerstraße dabei, auf jeden Fall ein Erfolg! Aber natürlich passiert zu wenig und das zu langsam, weil die GroKo dem Auto keinen Platz wegnehmen möchte. An sehr vielen Stellen ist die Infrastruktur schlicht zu schmal, das sorgt natürlich auch für Konflikte.

Henrike: München war einfach lange Zeit eine Autostadt, das wirkt nach. Da kommen immer noch – siehe die Diskussion zur Radlspur in der Gabelsberger Straße – an erster Stelle die Bedürfnisse der Autofahrer. Und die Radfahrer müssen sich da irgendwie einpassen. Der kulturelle Wandel hin zum Radverkehr hat einfach nicht in dem Ausmaß stattgefunden wie in Kopenhagen oder anderswo.

Stichwort Mobilitätskultur, Henrike damit befasst Du dich ja wissenschaftlich. Wo liegt denn hier der Hebel aus Deiner Sicht?

Henrike: Drei Bereiche sind entscheidend. Erstens: Informationsangebote und den Leuten die Möglichkeit bieten, Dinge einfach mal auszuprobieren – ÖPNV-Ticket zum Austesten zum Beispiel. Punkt zwei sind Anreize wie Jobtickets, auf der anderen Seite die große Frage der Abschreckung – politisch natürlich kontrovers. Schränkt man das Parken drastisch ein, über höhere Kosten? Letztlich geht es darum, über ökonomische Stellschrauben Verhaltensänderungen herbeizuführen. Drittens müssen natürlich die infrastrukturellen Bedingungen stimmen, damit Verhaltens­änderungen auch klappen.

Paul: Beim Parken waren wir als Stadt lange führend, Stichwort Parkraummanagement. Das war innovativ, als wir es eingeführt haben. Aber die Parkgebühren sind seit 17 Jahren konstant geblieben, während die MVV-Tickets deutlich teurer wurden. Da sind die Anreize einfach falsch gesetzt. Beim Thema Abschreckung wird die weitere Diskussion zum Luftreinhalteplan spannend. Die Citymaut wäre da eine ernsthafte Option. Stichwort Anreize: Wir haben für München ein Ticket wie in Wien, die Jahreskarte für 365 Euro gefordert. Da sagen uns Verkehrsbetriebe, die Bahnen sind einfach zu voll vor 9 Uhr.

Henrike: So etwas wie ein 365-Euro-Ticket ist vor allem deshalb so ein guter Ansatz, weil sich das so exzellent kommunizieren lässt. Ich habe ein Jahr in Wien gelebt und das dort erlebt. In München ist die Tarifstruktur schon eine Herausforderung. Touristen den Unterschied zwischen Ringen und Zonen zu erklären, ist nicht trivial. Die Preisstrukturen, die Zonenstruktur sind schon ziemlich unübersichtlich, da müsste man einfach mal ran.

Paul: Das Thema Kosten ist natürlich zentral. In Wien unterstützt die Stadt den ÖPNV mit 400 Millionen im Jahr. Die MVG hat den Anspruch, den Betrieb im Wesentlich kostendeckend zu fahren. Angesichts der Herausforderungen möchten wir von den Grünen hier deutlich Geld in die Hand nehmen, um den Öffentlichen Verkehr zu verbessern.

Henrike: Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Thema “Subven­tionen” im Verkehrsbereich natürlich ein spannendes Thema. Es geht schlicht an der Realität knallhart vorbei, wenn man Subventionen im ÖPNV-Bereich zum Problem erklärt und die sonstigen Subventionen im Verkehrsbereich einfach ausblendet.

Paul: Guter Punkt – siehe Tiefgaragenstellplätze, die über das Wohnen subventioniert werden. Den Autoverkehr einzuschränken, das ist übrigens gar keine Frage des Wunsches, es wird schlicht nicht anders gehen, in der wachsenden Stadt. Und ich hab schon Hoffnung, allein wenn man auf Carsharing schaut, dass das auch klappt. Das Parkraummanagent wurde am Anfang auch kritisch beäugt und dann zum großen Erfolg.

Henrike: Interessant ist auch, wenn man sich Mobilitätverhalten über verschiedene Altersgruppen ansieht. Jüngere Menschen machen immer später ihren Führerschein – oder gar nicht mehr. Viele sehen ein eigenes Auto fast schon als Bürde, sind ganz selbstverständlich multimodal unterwegs – da ist gerade viel in Bewegung, das ist eine Riesenchance.

Wie sieht Eure Vision für München in 20 Jahren aus?

Paul: München ist nicht nur Radl- sondern auch Fußgängerstadt, man kann viel mehr, fast alles, zu Fuß erledigen – oder natürlich mit dem Rad machen. Ein guter ÖPNV gehört zwingend dazu, aber ganz wichtig, dass die Stadt mehr dazu einlädt zu Fuß zu gehen. Attraktive Quartiere sind dafür natürlich zentral. Autoverkehr werden wir schon auch noch haben, aber den sehe ich vorrangig im Wirtschaftsverkehr, und natürlich elektrisch.

Henrike: Dem stimme ich zu. Im Jahr 2036 haben wir hoffentlich die Stadt möglichst so gestaltet, dass man vor Ort, im Stadtviertel, möglichst viele wichtigen Funktionen fußläufig erreichbar hat. Die Verzahnung von Stadtentwicklung, Verkehrspolitik und auch Sozialpolitik ist dafür entscheidend. Veränderungen in der Arbeitswelt – Stichwort Digitalisierung – spielen dafür natürlich auch eine Rolle. Und in 20 Jahren feiern wir 20 Jahre autofreie Sendlinger Straße! Darauf freue ich mich dann besonders.

Henrike Rau

Henrike Rau ist seit letztem Jahr Professorin in der Lehr- und Forschungseinheit Mensch-Umwelt-Beziehungen der Fakultät für Geowissenschaften der LMU München. Ein Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit ist das Thema Moblitätsverhalten. Henrike lebte und forschte rund 15 Jahre in Irland. Dort war sie auch bei unserer irischen Schwesterpartei aktiv. Seit Juni 2016 ist Henrike Beisitzerin im OV Neuhausen-Nymphenburg.

Paul Bickelbacher

Paul Bickelbacher ist Stadt- und Verkehrsplaner und grüner Stadtrat. Er ist Mitglied im Kreisverwaltungs-, Stadtplanungs- und Bauausschuss sowie im Aufsichtsrat der MVG. Außerdem gehört er dem Bezirksausschuss Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt an. Daneben schreibt Paul Radreiseführer und engagiert sich bei FUSS e.V., dem ADFC und der SRL.

 

Das Interview führten Alexander König und Thorsten Siefarth.