Stadträtin Sabine Krieger und Christian Smolka, Sprecher des AK Ernährung, im Gespräch. Das Interview führte Thorsten Siefarth.
Sabine, hast Du heute etwas Gutes gegessen?
Sabine: Zum Frühstück, ja: Müsli, Reismilch und Obst.
Und danach ging’s dann bergab?
Sabine: Dann war ich auf der Aufsichtsratssitzung der Stadtwerke und da gab’s dann später ein Mittagessen, sogar Bio. Das habe ich inzwischen durchgesetzt. Mit Produkten aus dem Mangfalltal.
Und Du, Christian, was gab’s bei Dir heute Gutes zu essen?
Christian: Ich habe auch gut gefrühstückt. Das Essen am Morgen ist für mich eine der wichtigsten Mahlzeiten am Tag. Da nehme ich mir ausgesprochen viel Zeit dafür. Mittags esse ich wenig, dann aber abends wieder. Am liebsten zusammen mit meiner Frau.
Vom Privaten zum Gesellschaftlichen: Inwiefern kann eine Kommune eigentlich Einfluss auf Fragen der Ernährung nehmen?
Sabine: Es gibt einige Möglichkeiten. Die Stadt München hat ja einige Schulen und Kindertageseinrichtungen. Dann gibt es noch drei Kantinen, auf die die Stadt München direkten Einfluss hat. Schwieriger wird es bei den Kantinen, die den städtischen Gesellschaften gehören. Dann haben wir noch Empfänge und städtische Feste. Da können wir wieder mehr Einfluss nehmen. Und auch Vorbild sein.
Christian: Außerdem können wir auch immer wieder Denkanstöße geben. Selbst wenn man erst mal nicht unbedingt auf offene Ohren stößt. Wer hätte zum Beispiel vor zwanzig Jahren schon gedacht, das wir heute doch einen verhältnismäßig hohen Bio-Anteil an der Ernährung haben? Beim Thema Ernährung muss man meist ein dickes Brett bohren.
Sabine: Und es bewegt sich ja auch tatsächlich etwas. Seit vierzehn Jahren begleite ich das Thema intensiv im Stadtrat. Ich kann mich noch erinnern, wie wir die ersten Anträge gestellt haben. Da dachten wir zwar zunächst, dass die Änderungen ziemlich schnell kommen werden. Mussten dann aber feststellen, wie langsam das doch geht. Manchmal ist die Zeit auch erst später reif für Veränderungen.
Welche Veränderungen gab es denn konkret?
Sabine: So richtig ging es ab 2011 los. Da gab es den ersten Stadtratsbeschluss: 50 Prozent Bio, 30 Prozent Frischkost und hauptsächlich regionale Produkte in Kindertageseinrichtungen und Schulen. Wer die Verpflegung neu einrichten oder umstellen wollte, der musste diese Vorgaben verpflichtend erfüllen. Außerdem muss seitdem zumindest 90 Prozent Fleisch aus artgerechter Tierhaltung verwendet werden. Allerdings hatte das Ganze den Pferdefuß, dass Cook & Chill oder Cook & Freeze möglich sind.
Was bedeuten diese beiden Begriffe?
Sabine: Es handelt sich um Methoden der Essenszubereitung. Beim Cook & Chill wird das Essen frisch gekocht und dann innerhalb von 90 Minuten auf ein paar Grad heruntergekühlt. Anschließend wird es geliefert und unmittelbar vor dem Verzehr erwärmt. Im Unterschied dazu wird das Essen bei Cook & Freeze nach dem Kochen bei -40° C schockgefroren. Dieses Essen kann dadurch länger gelagert werden. Die Nährstoffe bleiben angeblich bei beiden Verfahren weitgehend erhalten.
Wie ist der Stadtratsbeschluss von 2011 mittlerweile umgesetzt worden?
Sabine: Für uns ist dieser Beschluss ein Meilenstein. Bei den Kindertageseinrichtungen klappt es am besten. Für die Schulen ist die Umsetzung immer noch ein Problem. Bei den Kantinen lief es so nach und nach an. Außerdem wurde dieses Jahr beschlossen, die städtischen Empfänge auf bio umzustellen.
Christian: In München ist vor allem das Luisengymnasium zu nennen. Diese Schule ist, was bewusste Ernährung angeht, ein richtiger Leuchtturm. Die strahlen über Bayern hinaus und sind für das dort betriebene pädagogische Kochen ja auch prämiert worden.
Aber reichen solche Leuchtturmprojekte aus? Stehen die nicht letztlich doch ziemlich einsam da?
Christian: Also ich denke, wenn nicht Denkanstöße von der Politik kommen, dann geht es an der Basis auch nicht weiter. Bei mir im Bezirksausschuss war einer der ersten Anträge, dass die Stadt die Schulen auffordern soll, das pädagogische Kochen weiter zu etablieren und auszubauen. Da geht es dann übrigens nicht nur um das bloße Kochen und Essen, sondern es geht auch um Bildung und darum, gesellschaftliche Prozesse in Gang zu setzen.
Sabine: Das finde ich auch sehr wichtig. Ich habe dazu vor einiger Zeit ein Ernährungsbildungskonzept entworfen und dazu einen Antrag gestellt. Das klingt jetzt vielleicht etwas theoretisch. Aber die Idee war, über das Thema Nahrungsaufnahme hinauszugehen und zum Beispiel auch die Esskultur zu befördern.
Christian: Genau. Ernährungsbildung ist sehr umfassend. Das fängt mit der Pflanzenaufzucht an. Dann kommt natürlich das Kochen. Auch Mathematik ist betroffen, das Bemessen von Dünger für den Garten oder von Essensportionen. Es geht um das Erlernen von vernünftigem Haushalten. Ganz toll wäre es auch, wenn Schulen Kooperationen mit landwirtschaftlichen Betrieben begründen würden. Wo die Schüler sich zum Beispiel auch einmal mit der Schlachtung eines Tieres auseinandersetzen können. Eine „pädagogische Farm“ gibt es zum Beispiel in Berg am Laim.
Sabine: Ein paar Real-, bzw. Berufsschulen haben sogar einen Schulgarten. Das lässt sich gut mit Ernährungsfragen, insbesondere mit dem pädagogischen Kochen, kombinieren.
Kommen wir von den Kindern mal zu den Erwachsenen. Was kann eine Kommune für deren Ernährung tun?
Sabine: Das ist schon schwieriger. Da kommt nämlich immer gleich das Argument: Man kann den Leuten doch das Essen nicht vorschreiben.
Stichwort Veggieday!
Sabine: Das mit dem Veggieday ist natürlich ganz hart gewesen. Aber im Endeffekt geht es in diese Richtung. Allerdings nur über Angebote. Es gab ja in den städtischen Kantinen mal eine Veggiewoche. Die wurde sehr gut angenommen. Leider wurden daraus nicht allzu viele Konsequenzen gezogen. Die Kantinen bieten mittlerweile zwar ein bisschen mehr Vegetarisches an. Aber das erschöpft sich nicht selten in einem Topfenstrudel oder Kaiserschmarrn. Oder es gibt Nudeln mit Soße. Das ist dann einfach kein tolles Angebot. Es muss vielmehr eine gute und kreative Küche geben.
Christian: So etwas wie mit dem Veggieday darf nie wieder passieren. Wir sind nicht die Bevormunder der Nation. In der Tat müssen gute und attraktive Angebote her – bei denen den Menschen das Wasser im Munde zusammenläuft. Vor allem außerhalb der Kantinen. Man sieht ja schon jetzt, dass sich die vegetarische oder gar vegane Ernährungsweise immer stärker behauptet. Etliche Restaurants haben sich sogar darauf spezialisiert. Übrigens glaube ich, dass man viele Erwachsene über die Ernährungsbildung der Schüler erreichen kann. Über die Kinder kommt man also an die Eltern ran.
Sabine: Stimmt. Zum Beispiel bei der Esskultur. Manche Kinder lernen erst bei der Schulverpflegung kennen oder erinnern sich, dass man zum Essen zusammensitzen kann. Und wie schön das ist. Und das wollen die dann auch zu Hause.
Christian: Am Luisengymnasium zelebrieren sie das ja bis zum Exzess: die Tischgemeinschaft. Die sitzen an gedeckten Tischen. Da stehen Schüsseln. Jeder nimmt sich so viel wie er möchte und essen kann. Das hat schon eine große soziale Komponente. Ab der elften Klasse ist das dann zwar freiwillig und Etliche essen erst einmal beim Türken oder sonst wo. Aber sie kommen schnell wieder zurück. Mittlerweile kommen sogar die Schüler von der Berufsschule nebenan. Weil das gemeinsame Essen einfach gut ist!
Wir sind also wieder zurück bei den Kindern und Jugendlichen. Wie schätzt Ihr denn die Verpflegung in Schulen und Kindertageseinrichtungen in München insgesamt ein? Einmal abgesehen von den Leuchtturmprojekten.
Sabine: Unser Wunsch wäre natürlich, dass an jeder Schule frisch gekocht würde. So wie das in den Münchner Krippen stattfindet. Das war aber bisher finanziell nicht darstellbar.
Warum?
Sabine: Man braucht vor allem große Küchen und Personal. Und das kostet. Andererseits aber hängt es auch vom Engagement der Schulen ab. Wenn die wollen, dass frisch gekocht wird, dann wird das in der Regel auch möglich gemacht.
Wie sieht es da aus, wo nicht frisch gekocht wird?
Sabine: Die Schulgemeinschaft kann sich einen Caterer aussuchen. Wird nicht frisch gekocht, dann wird das Essen angeliefert und aufgewärmt. Da gibt es dann allerdings qualitative Unterschiede. Durchaus aber auch recht gute Angebote.
Christian: Das Problem bei dieser Art der Verpflegung ist jedoch, dass die Kinder und Jugendlichen zu Tisch kommen, eine Packung aufreißen und wieder gehen. Das hat dann mit einer ganzheitlichen Verpflegung nur mehr wenig zu tun.
Was kostet eigentlich ein gutes Essen an einer Schule oder Kindertageseinrichtung?
Sabine: Das ist tatsächlich eine heikle Frage. Wenn es um die Ausstattung von Schulen mit einer Küche geht, so ist das eben sehr teuer. Unsere Überlegung war, dass es Satellitenküchen gibt, in die dann die Kinder und Jugendlichen aus den Schulen der Umgebung kommen. Das läuft im Moment aber noch nicht. Es soll zwar im nächsten Jahr ein Konzept dazu geben. Aber ich bin da noch skeptisch. Auch hinsichtlich der Kosten: Das Essen darf nicht zu teuer werden. In den Schulen kostet es momentan bis zu 4,50 Euro. Das ist schon sehr teuer. In den Kindertageseinrichtungen sollte es nicht über drei Euro gehen. Das muss man erst mal hinbekommen.
Christian: Was auch immer wieder mal angesprochen wird – und wenn nicht, dann stoße ich das hiermit an: Ich fände eine Befreiung der Schulverpflegung von der Mehrwertsteuer eine sehr gute Idee!
Sabine: Eine weitere Möglichkeit wäre, die Schulverpflegung zu subventionieren. Zum Beispiel indem die Stadt München den Küchenbetreibern die Pacht erlässt. So hätten diese mehr finanziellen Spielraum und könnten letztlich qualitativ besseres Essen anbieten. Und auch ansonsten bei der Versorgung einiges besser gestalten.
Wir sind schon am Ende und wollen noch einen Ausblick wagen: Wie soll die Verpflegung in Schulen und Kindertageseinrichtungen in den nächsten Jahren aussehen?
Christian: Ich wünsche mir, dass das Luisengymnasium eines von vielen ist. Und: Kinder und Jugendliche sollten stärker partizipieren. Sie sollten darüber mitentscheiden dürfen, wie es wann und wo welches Essen gibt. Da werden bestimmt ganze neue Ideen aufkommen. Außerdem sollte die Verpflegung so gut sein, dass sich die Kinder und Jugendlichen zu Mittag nicht lieber von einer Tüte Chips ernähren. Das ist heutzutage teilweise gang und gäbe.
Sabine: Also pädagogisches Kochen halte ich schon für sehr wichtig. Aber wenn ich auf die ganze Stadt schaue, dann sollte es zumindest die bereits angesprochenen Satellitenküchen geben, die fünf bis sechs Schulen versorgen können. Außerdem wünsche ich mir, dass die Ernährungsbildung besser in den Unterricht integriert wird.
Liebe Sabine, lieber Christian, herzlichen Dank für das Gespräch mit Euch!
Sabine Krieger
Sabine Krieger ist eine gebürtige Münchnerin (Jahrgang 1957). Sie hat Sport und Sozialkunde auf Lehramt (an Gymnasien) studiert. Danach war sie in Garmisch-Partenkirchen und Freyung Referendarin, nach dem Staatsexamen dann Lehrerin an Münchner Gymnasien. Anfang der 90er Jahre kam der Umschwung: Studium der Geografie und Tätigkeit als Journalistin. Sie arbeitete für die Zeitschriften „Kraut & Rüben“ und „Schrot & Korn“. Nach einer PR-Ausbildung hat sie u.a. für einen ökologischen Feinkostvertrieb gearbeitet. Im Jahr 2002 dann der Sprung in den Stadtrat. Dort ist das Thema Ernährung einer ihrer Schwerpunkte.
Christian Smolka
Christian Smolka wurde 1965 am Niederrhein geboren und kam Mitte der 80er Jahre zum Zivildienst nach München. Er ist hier als selbstständiger Augenoptikermeister und Optometrist tätig. Als Kind war er umgeben von einer Mutter und Großmutter, die eine große Leidenschaft für das Kochen und Genießen hatten. Seine Großmutter hatte als Köchin in Österreich gearbeitet. So wuchs er inmitten von Mehlspeisen und vielen weiteren genusserweiternden Lebensmitteln auf. 1988 lernte er in Perugia die gerade gegründete SlowFood-Bewegung kennen. Er leitet den AK Ernährung.