Das Sierra Leone Protestcamp

Seit Anfang Februar steht das Protestcamp der Geflüchteten aus Sierra Leone am Georg-Freundorfer Platz, also mitten in der Schwanthaler Höhe. Es ist schon einiges dazu gesagt und geschrieben worden. Hier betrachten wir das Thema aus unserer lokalen Perspektive.

Zur Geschichte des Protestcamps

Das Camp besteht nun bereits seit Oktober 2021, so lange schon haben die Protestierenden ihre Unterkünfte verlassen, um auf der Straße auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Denn am 18. Oktober geschah etwas, das ihre ohnehin schwer erträglichen Lebensumstände noch einmal dramatisch verschlechterte: Die Bundesregierung hatte eine Delegation aus Sierra Leone eingeladen zur Identitätsfeststellung der Geflüchteten. Darauf wird genauer in dem SZ-Artikel „Sie haben uns alle Möglichkeiten genommen“ eingegangen und es ist reichlich unübersichtlich, deshalb hier nur so viel: Die Betroffenen verlieren ihren Status, weil sie keinen Pass haben, aber es gibt keinen gangbaren Weg, einen zu beschaffen. Die Zusammenarbeit mit den Delegationen ist höchst fragwürdig und wurde bereits 2011 von Pro Asyl kritisiert.

Seitdem zieht das Camp durch München. Die vollständige Liste der Stationen findet Ihr auf der Chronologie des Protestcamps. Gestartet war es vor der Zentralen Ausländerbehörde in der Hoffmanstraße 51, was inhaltlich sinnvoll war, aber nicht publikumswirksam. Eine prominente Station war der Königsplatz, dort kam der Caritasbus hinzu. Die Situation war dort aber in vieler Hinsicht schwierig. Auch deshalb zog das Camp zu uns auf die Schwanthaler Höhe um. Dort gab es am 12. März eine bunte Kundgebung. Am 5. April besuchte Kardinal Reinhard Marx das Camp.

Kundgebung am 12. März. Foto: PlusX:M.K.

Die Forderungen

Was soll durch den Protest erreicht werden? Jede*r hat eine eigene Geschichte und eigene Forderungen. Den besten Eindruck erhaltet Ihr, wenn Ihr einfach mal vorbeigeht und mit den Protestierenden redet, sie sprechen Englisch und auch Deutsch.

Auf alle trifft zu, dass sie ein normales Leben führen wollen, mit Arbeit und Ausbildung und einer Zukunftsperspektive. Das ist für Asylsuchende allgemein schwer, verschärfend kommt für die Protestierenden hinzu, dass sie aus Landkreisen kommen wie Landsberg oder Passau. Dort werden ihre Möglichkeiten in unnachvollziehbarer Weise eingeschränkt. Ein Beispiel: Jemand findet einen Arbeitgeber, der ihn einstellen will, aber die Arbeitserlaubnis wird ihm verweigert. So kann man auf Dauer nicht leben. Die meisten sind bereits seit Jahren in Deutschland.

Was ist ein „normales Leben“? Es beruht auf eine Reihe von Selbstverständlichkeiten, aber wenn es um Geflüchtete geht, gelten davon viele nicht, beispielweise: die Freizügigkeit (Wohnsitzauflage / Residenzpflicht), die Möglichkeit der sozialen Teilhabe (keine Fahrkarten, kein Zugang zu Sprachkursen) und Bildung (verweigerte Ausbildungsgenehmigungen) und ganz allgemein die Möglichkeit, sein eigenes Leben zu gestalten (keine Arbeitsgenehmigung, keine Bleibeperspektive). Spontan hört sich das alles unerträglich an, vor allem auf Dauer. Aber für Asylsuchende scheinen andere Maßstäbe zu gelten. Deshalb lohnt es sich, den Begriff des „normalen Lebens“ zu schärfen. Es geht um die Entfaltung der Persönlichkeit, die sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes ableitet:„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt

Zur Entfaltung gehören Aspekte wie Selbstbestimmung, Bildung, soziale Teilhabe und Beruf. Dieser Maßstab gilt für alle, auch für Asylsuchende. In dem „Menschenwürde“-Artikel auf Wikipedia.de steht:

Die Schutzverpflichtung des Staates gilt nicht nur gegenüber seinen Bürgern, sondern gegenüber allen Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes.

https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde, abgerufen am 8. November 2019

Das ist also geklärt. Schwierig wird die Kombination mit einer traditionell auf Abschreckung ausgerichteten Asylpolitik. Da arbeitet die staatliche Gewalt in die andere Richtung.

Die Wichtigkeit des Aktivismus von Betroffenen

Die Geflüchteten haben jahrelang versucht, das Spiel mitzuspielen und alles richtig zu machen. Leider ist das Spiel darauf ausgelegt, dass sie nur verlieren können. Die meisten leiden still in ihren Unterkünften, jede*r für sich, und die deutsche Öffentlichkeit bekommt nichts davon mit. Die Protestierenden haben einen großen Schritt gemacht, indem sie an die Öffentlichkeit gegangen sind. Das ist ungeheuer mutig. Und es ist gelebte Demokratie: Sie machen friedlich auf ihre Situation aufmerksam und fordern grundlegende Rechte ein.

Der Protest von Betroffenen ist etwas fundamental anderes als wenn sich Unterstützer*innen für ihre Interessen einsetzen, auch wenn die Forderungen dieselben sind. Das eine kann das andere nicht ersetzen.

Kundgebung am 12. März. Foto: PlusX:M.K.

Unsere Rolle als Unterstützer*innen

Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass dieser Protest gehört wird, und dass er überhaupt stattfinden kann, und zwar unter erträglichen Bedingungen. Dazu kommt gleich mehr.

Und natürlich müssen wir uns für die Umsetzung einer neuen Asylpolitik auf Bundesebene einsetzen.

Was hat das mit uns Grünen im Ortsverband Westend/Laim zu tun?

Eine Menge! Das zeigt schon die Redner*innenliste der Kundgebung am 12. März:

Neben Redebeiträgen der Geflüchteten des Protestcamps sprachen die Vertreter*innen des Stadtrats Barbara Likus (SPD), Nimet Gökmenoğlu (Grüne) und Thomas Lechner (Linke), sowie Modupe Laja (Eine Welt Haus), Sibylle Stöhr (Vorsitzende des Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe), Hamado Dipama (Migrationsbeirat), Jana Weidhaase (Bayerischer Flüchtlingsrat), Seebrücke München und Renate Spannig von der Caritas München.

https://sierraleonerefugees.noblogs.org/, abgerufen am 15. April 2022; Hervorhebungen in Fettdruck von uns
Renate Spannig auf der Kundgebung. Foto: PlusX:M.K.
Vier Grüne (Lisa, Bille, Micha, Nimet) am 12. März. Foto: PlusX:M.K.

Die Redner*innenliste zeigt zugleich die breite Unterstützung und die Zusammenarbeit von Flüchtlingsräten, Seebrücke, Helfer*innenkreisen aus Kirchen und Zivilgesellschaft, sozialen Diensten, Lokalpolitik und Verwaltung. Nimet und Sibylle (Bille) haben sehr viel Arbeit in die Zusammenarbeit mit der Verwaltung gesteckt. Renate hat den Kältebus organisiert. Das sind nur Beispiele, die Unterstützung hat viele Aspekte und läuft weiter mit Beratung, Bewerbungstraining usw.

Vor Ort gibt es viel zu organisieren: Gesundheitsversorgung inklusive Corona-Impfung, Schutz vor Kälte, sanitäre Situation (WC, Duschen), Schlafplätze, Zugang zu Küchen. Kurz gesagt konnte die ganze Situation endlich auf eine erträgliche Basis gestellt werden. Aber das Camp braucht auch Schutz vor Übergriffen. Seitdem es in der Schwanthaler Höhe ist, läuft auch das deutlich besser. Auch finanzielle Unterstützung ist wichtig für Essen, Fahrkarten und Strom:

Mit dem Verwendungszweck „Sierra Leone“ an:
FÖRDERVEREIN BAYERISCHER FLÜCHTLINGSRAT E.V.
IBAN: DE89 7002 0500 0008 8326 02
BIC: BFSWDE33MUE
BANK FÜR SOZIALWIRTSCHAFT

Und wie geht es weiter? Ein Offener Brief ist in Vorbereitung. Außerdem organisieren die Protestierenden weitere Projekte, wie beispielsweise „Refugees support Refugees“, in dem erfahrene Geflüchtete Neuankömmlinge aus der Ukraine unterstützen.

Wenn Ihr mehr wissen wollt oder mitmachen, geht wie gesagt doch einfach mal vorbei. Oder schreibt uns unter vorstand@gruene-muenchen-westend.de

In der Kirche. Foto: PlusX:M.K.

Links und Artikel

SZ vom 23. Februar 2022: „Sie haben uns alle Möglichkeiten genommen“

pro asyl vom 14.10.2011: „Delegation aus Sierra Leone: Fragwürdige Beschaffung von Abschiebe-Dokumenten“

Eigener Blog: https://sierraleonerefugees.noblogs.org/